Vita

In den Fluss springen und sich die Krokodile wegdenken

Das Leben verläuft bisweilen sehr spannend und abwechslungsreich. Gibt man sich seinem Fluss hin, und lässt sich von ihm führen, darf man sich immer wieder über unerwartete Wendungen freuen. Ein kurzer Überblick:

EIN Thema hat meine Kindheit entscheidend geprägt: Das Reisen.

Wann immer mein Vater zu einer seiner zahlreichen Geschäftsfahrten aufbrach, packte ich mein kleines blaues Köfferchen, setzte mich damit erwartungsvoll auf die Rückbank seiner Limousine und träumte von der großen weiten Welt – bis mich der Chauffeur dann unsanft aus dem Wagen beförderte.

Während mein kleiner Bruder die Märchenfiguren aus unseren Kinderzimmervorhängen schnitt, meine Schwester in ihrem Baumhaus über ihre vermeintlich indianische Abstammung sinnierte und meine Mutter Monogramme in Servietten stickte, nahm ich mir vor, so schnell wie möglich erwachsen zu werden.

MIT zehn Jahren gelang es mir schließlich der häuslichen Beschaulichkeit zu entkommen – ich ging ins Internat. Obwohl ich als scheinbar einzige den monotonen Speiseplan des Hauses liebte, war ich doch hellauf begeistert, als mich mein Vater sechs Jahre später zu sich nach Peru holte, wo er nach der Trennung von meiner Mutter mittlerweile ein neues Leben begonnen hatte.

Nach der Matura an der deutschen Schule in Lima hatte ich genug von der familiären Zweisamkeit und kehrte nach Europa zurück um zu studieren. Mein Kunstprofessor hatte mir einen befreundeten Kollegen in Spanien empfohlen, und so führte mich mein Schicksal also nach Madrid.

TROTZ der Tatsache das ich alleine in einem Land war in dem ich niemanden kannte und dessen Landessprache ich in Lima zwar wahrgenommen aber nie gesprochen hatte, stellte sich in mir spontan und unerwartet ein sehr befreiendes Gefühl ein – das Gefühl wiedergeboren zu sein, im Hier und Jetzt zu leben begonnen zu haben.

Mit zuvor nicht gekanntem Enthusiasmus und Lebensfreude fand ich nicht nur rasch einen sehr liebevollen Freundeskreis (3. Tag), sondern überstand noch dazu einen absurd diletantischen Banküberfall (4. Tag) und fand eine leistbare kleine Wohnung (7. Tag) – mein Neustart kam mir gesegnet vor.

Auf meinen gelegentlichen Erkundungszügen durch Madrid, trieb mich eines Tages die Hitze in eine kleine hübsche und vor allen Dingen klimatisierte Gallerie, in der ein schon ergrauter, vollbärtiger Bildhauer die Arbeiten eines jungen Madrilenen ausstellte. Als ich die Bilder an den Wänden sah, staunte ich über das Kribbeln das sich in meinem Bauch breitmachte und mein Herz schneller klopfen ließ. Die Ausstellung trug den Titel „Meditation über die 22 großen Arkana“, und die Intensität der Farben und der Symbolik hat sich bis heute in mein Bewußtsein eingebrannt.

Ich hatte noch nie von Tarot gehört und wußte eigentlich nicht worauf mein Inneres so stark reagierte, eines war mir aber klar: nie zuvor hatte mich Kunst so berührt.

Am nächsten Tag kaufte ich mein erstes Tarot Kartenset, das von A. Crowley, das in seiner künstlerischen Ausarbeitung der des jungen Madrilenen sehr ähnlich war, und begann mir selbst die Karten zu legen. Über Legesysteme und Interpretationen wußte ich nicht viel mehr als in dem Büchlein stand, das dem Set beigelegt war.

Anders als an der Schule in Mathematik oder Physik, war es mir ein Leichtes die „Ordnung“ und „Gesetze“ der Karten zu verstehen. Zusammenhänge taten sich auf ohne mein Gehirn, das mir von Kindheit an zu benutzten nahegelegt wurde nur zu berühren und ich lernte meine große Helferin die Intuition kennen. Sie und mein erstes Kartenset begleiten mich bis heute.

NACHDEM ich einige Monate neben meinem Studium ausschließlich mir selbst die Karten gelegt hatte, lernte ich Doña Elvira Esteban kennen. Sie war keineswegs eine Kartenlegerin wie man sie in Spanien kennt, keine „Gitana“ im buntem, zerschlissenem Kleid, die einem auf der Straße nachlief und irgendwas von Glück in der Liebe und fünf weiteren Kindern raunte.

Doña Elvira war die Witwe eines Generalissimo, der ihr eine hübsche Pension und eine große, vergilbte Wohnung im Zentrum von Madrid hinterlassen hatte. Dort lebte sie im 5. Stock allein mit ihrem Büchern und alten Schallplatten und genügte sich selbst. Ich sprang damals für eine Freundin, die einmal pro Woche für sie einkaufen ging ein und blieb bei ihr, zumindest für die nächsten drei Jahre.

Sie wurde meine Meisterin, mein Guru wenn man so will. Ich lernte viel von ihr; wie man mit Männern umgehen sollte, damit sie einem treu blieben, wie man richtig guten Kaffee zubereitet und wie man Karten legt.

Ich glaube an den Zufall im alten Sinn, daß man das vom Leben bekommt, das einem zufallen soll, ganz so wie es dem Schicksal gefällt. Doña Elvira fiel mir zu oder ich ihr, ohne das ich sie bewußt gesucht hätte.

Da ich kein Geld hatte um sie für ihren Unterricht zu bezahlen, schleppte ich Einkaufstaschen, wusch das Geschirr und die Wäsche. Sie dafür wies mich in die Geheimnisse des Lebens ein indem sie mir die Karten legte und anhand der Bilder Geschichten erzählte. Ob sie hellseherisch veranlagt war weiß ich nicht, aber sie konnte auf mich eingehen, schien zu wissen was mir fehlte und was in mir vorging, führte mich auf sehr angenehme Weise immer wieder zu einer Türe hinter der dann meist eine neue Erkenntnis wartete.

Entscheidende Schritte wie zum Beispiel die Türe zu öffnen überließ sie mir, was mich natürlich anfangs verunsicherte. Schließlich war ich doch froh endlich Führung und Halt gefunden zu haben. Aber so lernte ich von ihr, Hilfestellungen zwar anzunehmen, im entscheidenden Moment jedoch in mich hinein zu horchen und dieser meiner Stimme und meinen Bildern zu vertrauen.

VIEL später in Wien dann, als ich die Bücher von Hajo Banzhaf, dem deutschsprachigen Meister des Tarot zu lesen begann, hatte ich dasselbe Gefühl wie bei Doña Elvira. Auch er ist ein Lehrer, der Schüler und Klienten dazu ermuntert, den eigenen Weg zu finden. Auch bei den Karten verhält es sich nicht anders. Banzhaf schreibt in der Einleitung zu seinem Tarotbuch: „Tarot ist ein guter Diener – aber ein schlechter Herr.“

Heute verstehe ich, weshalb mich Doña Elvira nach drei Jahren einfach entließ. Ohne viele Worte zu machen hatte sie eine andere Studentin mit ihren Aufträgen betraut und meinte zu mir, die ich ohnehin an meiner Doktorarbeit schrieb, ich solle mich nun ganz auf den Abschluß meines Studiums konzentrieren. Ohne Wehmut, zumindest schien es mir so, verabschiedete sie mich, sagte nur, ich solle doch nach meiner Dissertation wieder zum Kaffee vorbei kommen. Dazu kam es nicht – und sie hatte es bestimmt schon vorher gewußt. Richtig Abschied zu nehmen habe ich von ihr gelernt.

HARD FACTS:

Ich arbeite seit mehr als 25 Jahren als Tarotberaterin, bin aber auch bildende Künstlerin, promovierte Kunsthistorikerin und Historikerin mit Schwerpunkt Mittelalter.

Neben verschiedenen Weiterbildungsseminaren bei Hajo Banzhaf, habe ich 2016 die Channeling-Ausbildung bei Rhiannon Augenthaler absolviert.

Seit 2020 bin ich ausgebildete Lebens- und Sozialberaterin.